(Co­rA-News Juli 2021) – Über Monate zogen sich die Ver­hand­lun­gen in­ner­halb der Bun­des­re­gie­rung hin, eine Ei­ni­gung er­schien immer un­ge­wis­ser. Doch am 11.6.2021 wurde das Gesetz vom Bun­des­tag be­schlos­sen. Dafür stimm­ten SPD, CDU/CSU und Grüne, die Linke ent­hielt sich. Linke, Grüne und SPD waren für ein am­bi­tio­nier­te­res Gesetz ein­ge­tre­ten, letz­te­re hatte auf Druck der CDU/CSU ge­gen­über aber Ab­stri­che hin­neh­men müssen. FDP und AfD stimm­ten gegen das Gesetz – ebenso wie zehn Ab­ge­ord­ne­te der CDU/CSU, die den Auf­ru­fen der Wirt­schafts­lob­by folgten und sich über den mit der SPD ge­fun­de­nen Kom­pro­miss hin­weg­setz­ten. Das von Bun­des­ar­beits­mi­nis­ter Hu­ber­tus Heil und Bun­des­ent­wick­lungs­mi­nis­ter Gerd Müller vor­an­ge­trie­be­ne und nun be­schlos­se­ne Gesetz leitet einen über­fäl­li­gen Pa­ra­dig­men­wech­sel ein: Weg von den frei­wil­li­gen Selbst­ver­pflich­tun­gen und Ab­sichts­er­klä­run­gen, hin zu ver­bind­li­chen men­schen­recht­li­chen und um­welt­be­zo­ge­nen Vor­ga­ben für Un­ter­neh­men. Un­ter­neh­men mit mehr als 3.000 Mit­ar­bei­ten­den sind ab 2023 dazu ver­pflich­tet, entlang ihrer Lie­fer­ket­te auf die Ein­hal­tung der Men­schen­rech­te zu achten. Ab 2024 gilt dies auch für Un­ter­neh­men ab 1.000 Mit­ar­bei­ten­de. Kommen sie dieser Pflicht nicht nach, können sie mit Buß­gel­dern und einem Aus­schluss von der öf­fent­li­chen Be­schaf­fung sank­tio­niert werden. Das Bun­des­amt für Wirt­schaft und Aus­fuhr­kon­trol­le (BAFA) wird mit der Durch­set­zung be­auf­tragt.

Dieser Pa­ra­dig­men­wech­sel ist nicht zuletzt der großen zi­vil­ge­sell­schaft­li­chen Kam­pa­gne der In­itia­ti­ve Lie­fer­ket­ten­ge­setz zu ver­dan­ken, die aus dem Co­rA-Netz­werk her­vor­ge­gan­gen ist.

Die In­itia­ti­ve hat anhand zahl­rei­cher Fall­bei­spie­le auf­ge­zeigt, weshalb ein Gesetz nötig ist. Mit fun­dier­ten ju­ris­ti­schen Ana­ly­sen hat sie Mög­lich­kei­ten der Recht­set­zung auf­ge­zeigt. Mit kon­ti­nu­ier­li­cher Pres­se­ar­beit hat sie es ge­schafft, eine mediale Debatte über das Thema aus­zu­lö­sen. Sämt­li­che große Medien haben über das An­lie­gen be­rich­tet und die Frage nach der men­schen­recht­li­chen Ver­ant­wor­tung von Un­ter­neh­men ge­stellt. Von der „heu­te-show“ bis zur „Anstalt“ haben sich etliche Sa­ti­re­ma­ga­zi­ne an dem Thema ab­ge­ar­bei­tet. Und mit zahl­lo­sen Ver­an­stal­tun­gen und Ak­tio­nen überall in Deutsch­land sowie in­ten­si­ver So­ci­al-Me­dia-Ar­beit hat die In­itia­ti­ve hun­dert­tau­sen­de Men­schen er­rei­chen können. Allein die zen­tra­le Pe­ti­ti­on an die Bun­des­kanz­le­rin wurde über 222.000 Mal un­ter­zeich­net. 128 Or­ga­ni­sa­tio­nen haben an einem Strang gezogen und mit einer Stimme ge­spro­chen – mit Erfolg: Das Lie­fer­ket­ten­ge­setz ist nicht mehr nur ein Thema in Fach­krei­sen, sondern ist längst der All­ge­mein­heit ein Begriff ge­wor­den.

Doch zur ganzen Wahr­heit gehört auch: Die Ver­wäs­se­rungs­ver­su­che der Wirt­schafts­ver­bän­de, des CDU-Wirt­schafts­rats und des Bun­des­wirt­schafts­mi­nis­ters hatten Erfolg – der vor­ge­leg­te Ge­setz­ent­wurf weist massive Schwach­stel­len auf, die die Stellungnahme der In­itia­ti­ve Lie­fer­ket­ten­ge­setz ana­ly­siert.

So gelten die Sorg­falts­pflich­ten der Un­ter­neh­men nur für den eigenen Ge­schäfts­be­reich und direkte Ver­trags­part­ner ohne weitere Vor­aus­set­zun­gen. Tiefer in der Lie­fer­ket­te hin­ge­gen müssen Un­ter­neh­men ihre Risiken – anders als in den UN-Leit­prin­zi­pi­en für Wirt­schaft und Men­schen­rech­te vor­ge­se­hen – nur „an­lass­be­zo­gen“ er­mit­teln und erst bei „sub­stan­ti­ier­ter Kennt­nis“ über mög­li­che Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen etwas un­ter­neh­men. Die UN-Leit­prin­zi­pi­en legen jedoch nicht ohne Grund fest, dass Un­ter­neh­men Men­schen­rech­te entlang ihrer ge­sam­ten Wert­schöp­fungs­ket­te achten müssen und dazu pro­ak­tiv und vor­aus­schau­end mög­li­che Risiken ana­ly­sie­ren, be­wer­ten und prio­ri­sie­ren sollen. Ein Groß­teil der Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen findet am Beginn der Lie­fer­ket­ten statt – diesen Men­schen ist wenig ge­hol­fen, wenn deut­sche Un­ter­neh­men nur bei ihren di­rek­ten Zu­lie­fe­rern auf die Ein­hal­tung der Men­schen­rech­te achten. Die Be­schrän­kung der Sorg­falts­pflich­ten un­ter­mi­niert den prä­ven­ti­ven Kern­ge­dan­ken der UN-Leit­prin­zi­pi­en. Schlimms­ten­falls bietet sie den Un­ter­neh­men einen Anreiz zum Weg­schau­en, denn solange ein Un­ter­neh­men nichts von den Risiken in seiner Lie­fer­ket­te weiß, muss es nicht handeln. Diese Ab­stu­fung von Sorg­falts­pflich­ten ist daher in­ak­zep­ta­bel.

Auch eine zi­vil­recht­li­che Haf­tungs­re­ge­lung, wie sie im fran­zö­si­schen Loi de Vi­gi­lan­ce und den An­kün­di­gun­gen des EU-Jus­tiz­kom­mis­sars Reyn­ders für eine EU-Re­ge­lung ent­hal­ten ist, hat es nicht in das Gesetz ge­schafft. Opfern schwe­rer Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen ist es also nicht möglich, vor deut­schen Ge­rich­ten mit Hilfe des Ge­set­zes Scha­dens­er­satz ein­zu­kla­gen, wodurch ein zen­tra­les Ziel des Ge­set­zes, die Stär­kung der Rechte von Be­trof­fe­nen, ver­fehlt wird. Die ab­schre­cken­de und damit vor­beu­gen­de Wirkung der zi­vil­recht­li­chen Haftung auf Un­ter­neh­men geht eben­falls ver­lo­ren. Im­mer­hin er­mög­licht die so­ge­nann­te Pro­zess­stand­schaft, dass Ge­schä­dig­te deut­sche Ge­werk­schaf­ten oder NGOs zur zi­vil­recht­li­chen Pro­zess­füh­rung in Deutsch­land er­mäch­ti­gen können. Das kann Be­trof­fe­nen helfen, da sie einige pro­zes­sua­le Hürden für Scha­dens­er­satz­kla­gen senkt – ein Ersatz für eine zi­vil­recht­li­che Haftung ist sie nicht.

An­ge­sichts von Kli­ma­kri­se und fort­schrei­ten­der Um­welt­zer­stö­rung muss ein Lie­fer­ket­ten­ge­setz den An­spruch haben, zu deren Ver­hin­de­rung bei­zu­tra­gen. Das Gesetz versagt in dieser Hin­sicht, da Um­welt­stan­dards nur mar­gi­nal be­rück­sich­tigt werden und eine eigene um­welt­be­zo­ge­ne Sorg­falts­pflicht fehlt. Massive Um­welt­zer­stö­run­gen durch Bio­di­ver­si­täts­ver­lust werden nicht erfasst, auch das Klima wird nicht als Schutz­gut be­rück­sich­tigt.

Darüber hinaus erfasst das Gesetz zu wenige Un­ter­neh­men. Zu­nächst werden nur Un­ter­neh­men ab 3.000 Mit­ar­bei­ten­den erfasst (ca. 900 Un­ter­neh­men), wenn das Gesetz ab 2024 zu­sätz­lich für Un­ter­neh­men ab 1.000 Mit­ar­bei­ten­den gilt, werden es ca. 4.800 Un­ter­neh­men sein – doch auch das ist noch deut­lich zu wenig, denn auch weitaus klei­ne­re Un­ter­neh­men tragen zu schwe­ren Um­welt­schä­den und Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen bei.

Die In­itia­ti­ve Lie­fer­ket­ten­ge­setz hat eine aus­führ­li­che juristische Analyse des Gesetzesentwurfs (in seiner Fassung von März 2021) ver­öf­fent­licht, die anhand 14 kon­kre­ter Ver­bes­se­rungs­vor­schlä­ge zeigt, wie das Lie­fer­ket­ten­ge­setz mehr Biss für einen ef­fek­ti­ven Schutz von Men­schen­rech­ten und Um­welt­stan­dards er­hal­ten hätte.

In der nächs­ten Le­gis­la­tur­pe­ri­ode muss sich nun zeigen, wie wir­kungs­voll das Gesetz die Rechte der Men­schen und die Umwelt am Anfang der Lie­fer­ket­te schüt­zen kann und in welchen Be­rei­chen es nach­ge­bes­sert werden muss.

Kon­stan­tin Pfaff (In­itia­ti­ve Lie­fer­ket­ten­ge­setz)