Seit dem 8. Dezember haben wir eine neue Bundesregierung. Ihr verbleiben nun knapp vier Jahre, um die zahlreichen Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag konkret auszugestalten und umzusetzen. Denn während der Koalitionsvertrag viele Zielsetzungen im Sinne der Forderungen des CorA-Netzwerkes enthält, bleibt er gleichzeitig vielfach zu vage. Andererseits gibt es bedauerliche Leerstellen, die in den kommenden vier Jahren zu füllen sind.
Lieferkettengesetz national und europäisch
Es ist zu begrüßen, dass sich die Ampelkoalition für ein wirksames EU-Lieferkettengesetz ausspricht, das auf den UN-Leitprinzipien basiert. Das ist ein konkreter Arbeitsauftrag an die neue Bundesregierung, sich jetzt in Brüssel dafür einzusetzen, dass die entsprechende Sustainable Corporate Governance Directive nicht länger aufgeschoben werden darf (s.u.). Entsprechend den UN-Leitprinzipien muss das europäische Gesetz Sorgfaltspflichten ohne Abstufungen für die gesamte Wertschöpfungskette festschreiben – und damit über das deutsche Gesetz hinausgehen. Ebenso muss der Schutz der Betroffenen von Menschenrechtsverletzungen gestärkt werden, so dass sie Schadensersatz von Unternehmen einklagen können.
Zudem plant die neue Bundesregierung, das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) gegebenenfalls zu verbessern. Dazu sollte sie zur Mitte der Legislaturperiode eine Evaluierung des Gesetzes vorsehen und im Sinne der UN-Leitprinzipien vor allem die Wirksamkeit für die Betroffenen von Menschenrechtsverletzungen als Kriterium berücksichtigen, um notwendige Änderungen noch in dieser Legislaturperiode vorzunehmen.
Nationaler und europäischer Aktionsplan
Das deutsche Lieferkettengesetz war aus dem ersten Nationalen Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte (NAP) zur Umsetzung der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte hervorgegangen. Mit Vorliegen des Lieferkettengesetzes ist nun auch eine Überarbeitung des NAP folgerichtig, wie dies im Koalitionsvertrag vorgesehen ist. Eine erste Liste an Forderungen für einen Folge-NAP hat das CorA-Netzwerk gemeinsam mit weiteren zivilgesellschaftlichen Organisationen bereits im Rahmen unseres Schattenberichts im August vorgelegt. Insbesondere sehen wir den Bedarf, bei staatlichen Instrumenten wie der öffentlichen Beschaffung, der Außenwirtschaftsförderung oder der Subventionspolitik menschenrechtliche Standards stärker zu verankern und durchzusetzen. Vor diesem Hintergrund begrüßen wir, dass die neue Bundesregierung die öffentliche Beschaffung sozial und ökologisch verbindlicher ausrichten will. Im Folge-NAP sollte sie dafür wirksame Maßnahmen und Ziele festlegen. Bei den Ungebundenen Finanzkrediten, die die neue Koalition beschleunigter gewähren will, müssen die Nachhaltigkeitsstandards und die Transparenz erhöht werden. Zudem sehen wir die Notwendigkeit, den effektiven Rechtsschutz für Betroffene von Menschenrechtsverletzungen durch Unternehmen zu verbessern. Das war die größte Lücke im bisherigen NAP. Grundsätzlich gut ist die Ankündigung im Koalitionsvertrag, kollektiven Rechtsschutz ausbauen zu wollen, aber dies muss nun konkretisiert werden. Zudem sollte die Bundesregierung im Rahmen des Folge-NAP und auch als Orientierung für die LkSG-Umsetzungsbehörde BAFA festschreiben, dass unternehmerische Maßnahmen für existenzsichernde Löhne Teil der unternehmerischen Sorgfaltspflichten sind.
Gleichzeitig ist das Vorhaben zu begrüßen, einen EU-Aktionsplan zu Wirtschaft und Menschenrechten zu entwickeln. Denn auch auf EU-Ebene ist eine größere Politikkohärenz mit Menschenrechtsstandards – etwa bei der Handelspolitik oder der öffentlichen Beschaffung erforderlich. Zudem muss die EU endlich ein Mandat zur Verhandlung des UN Treaty verabschieden, um auch auf internationaler Ebene ein Level Playing Field für Menschenrechtsschutz im globalen Wirtschaften zu schaffen. Bedauerlicherweise fehlt im Koalitionsvertrag eine Verpflichtung, den Prozess zu einem UN Treaty konstruktiv voranzutreiben.
Handelspolitik
Die Aussage im Koalitionsvertrag, dass die Bundesregierung Investitionsschutz künftig auf direkte Enteignung und Diskriminierung konzentrieren will, kann die Investitionsschutzabkommen vom Kopf auf die Füße stellen. Vor Investitionsschiedsgerichten berufen sich Auslandsinvestoren bislang regelmäßig auf das Verbot indirekter Enteignung in solchen Abkommen, um gegen Regulierungen zum Schutz von Umwelt und Menschenrechten vorzugehen, durch die ihnen erwartete Gewinne entgehen könnten. Die Bundesregierung sollte solche Abkommen – einschließlich des Energiecharta-Vertrags – folgerichtig kündigen und auf eine Neu-Verhandlung drängen.
Es ist positiv, dass die neue Bundesregierung verbindliche Standards zu Menschenrechten, Umwelt und Arbeitsrechten in Handelsabkommen verankern und dem zwischenstaatlichen Streitbeilegungsmechanismus unterwerfen will. Zu diesem Streitbeilegungsmechanismus muss auch ein Sanktionsmechanismus gehören. Zum Review der Trade Sustainability Chapters (TSD) hat Kommissar Dombrovskis bereits eine öffentliche Konsultation durchgeführt. Hier muss sich die Bundesregierung dringend für eine grundlegende Reform einsetzen. Vorliegende Abkommensentwürfe, die keine verbindlichen und sanktionsbewehrten Nachhaltigkeitsstandards enthalten – etwa mit dem Mercosur, Chile und Mexiko – dürfen in dieser Form nicht ratifiziert, sondern müssen nachverhandelt werden.
Die Absicht der grundsätzlichen Neuausrichtung der EU-Handelspolitik am Pariser Abkommen und den UN-Nachhaltigkeitszielen ist sehr zu begrüßen. Dies erfordert die Entwicklung einer neuen handelspolitischen Vision und Strategie, die über Nachhaltigkeitskapitel weit hinausgeht. Zur Entwicklung einer solchen Vision sollte die Bunderegierung eine breite Konsultation mit Zivilgesellschaft, Gewerkschaften und der Wissenschaft einleiten.
Bürokratieabbau
Auch wenn die FDP nicht im Koalitionsvertrag verankern konnte, für jede neue behördliche Regelung im doppelten Umfang bestehenden Regelungsaufwand abzubauen („One in, two out“), so setzt die neue Regierungskoalition die pauschale „One-in-one-out“-Vorgabe fort. Immerhin sieht der Koalitionsvertrag vor, im Zuge der Bürokratieentlastung nicht auf notwendige Schutzstandards zu verzichten. Diese Schutzstandards müssen unbedingt auch Standards zum Schutz von Menschen- und Arbeitnehmer*innenrechten sowie der Umwelt umfassen. Zudem sollte die Bundesregierung bei der vorgesehenen Erarbeitung eines Verfahrens zur Überprüfung des bürokratischen Aufwands von Gesetzen auch Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen einbeziehen.
Handelspraktiken und Entflechtung
Die Ampelkoalition will positiverweise gegen unfaire Handelspraktiken vorgehen und prüfen, ob der Verkauf von Lebensmitteln unter Produktionskosten unterbunden werden kann. Dies sollte bei der Evaluierung des Gesetzes zur Stärkung der Organisationen und Lieferketten im Agrarbereich (AgrarOLkG) berücksichtigt werden, die in zwei Jahren anstehen. Enttäuschend ist, dass die Ombuds- und Preisbeobachtungsstelle nicht erwähnt wird. Gleichwohl ist sie in der Gesetzesbegründung erwähnt und wir erwarten, dass sie von der neuen Hausleitung eingerichtet wird.
Eine missbrauchsunabhängige Entflechtung wird für die europäische Ebene aufgegriffen, sie sollte auch für Deutschland bei der vorgesehenen Evaluierung und Weiterentwicklung des Kartellrechts vorgesehen werden.
Kreislaufwirtschaft, Lobbyismus, Sustainable Finance, Whistleblower-Schutz
Der Koalitionsvertrag enthält zahlreiche weitere Vorhaben, die wir an dieser Stelle nicht im Einzelnen kommentieren können, die aber einige unserer Trägerorganisationen detailliert bewertet haben. So hat sich die Ampelkoalition auf weitergehende Schritte zu mehr Regeln und Transparenz beim Lobbyismus geeinigt, die Lobbycontrol genauer analysiert hat. Des Weiteren umfasst der Koalitionsvertrag eine Richtungsänderung in der Rohstoffpolitik und benennt erfreulicherweise die Kreislaufwirtschaft als eine zentrale Maßnahme zum Klima- und Ressourcenschutz, wie Germanwatch kommentiert. Auch das Thema Sustainable Finance wird im Koalitionsvertrag zurecht aufgewertet, wie Germanwatch weiterhin konstatiert. Auch der Passus zum Whistleblower-Schutz ist ein Fortschritt, wie Transparency International Deutschland und das Whistleblower Netzwerk beurteilen.
Cornelia Heydenreich (Germanwatch)